Der letzte Standesherr von Lübbenau.
Wilhelm Friedrich Graf zu Lynar (1899-1944) war als studierter Land- und Forstwirt deutlich besser für die Verwaltungsaufgaben in Lübbenau gerüstet als sein Vater. Er brachte ein ausgeprägtes Interesse für die Jagd, Pferdezucht und den Wald mit. 1923 heiratete er Ilse Hyma Marie Gräfin von Behr-Negendank (1898-1984). Die Hochzeit war – wie schon die Vermählungen der Lynars zuvor – ein gesellschaftliches Ereignis in Lübbenau, bei dem die ganze Stadt auf den Beinen war und der Schützenverein aufmarschierte.
Zunächst lebten die Grafen Lynar im Gutshaus Tornow, ab 1928 dann auf Schloss Lübbenau, wo Graf Wilfried mit großer Weitsicht, strengem Blick für die wirtschaftlichen Belange und dennoch einer großzügigen Haltung gegenüber seinen Angestellten den inzwischen rund 7.000 Hektar großen Familienbesitz verwaltete. Mit den Lübbenauern gab es ein sehr gutes Verhältnis. Graf Wilfried war in vielen Lübbenauer Vereinen Mitglied, wenngleich er nicht jede Geselligkeit suchte. Lieber lud er Gäste ins Schloss ein, um dort mit ihnen beisammen zu sitzen und auch rege zu diskutieren. Doch das friedliche Lübbenauer Leben wurde in den 1920er Jahren auf die nächste Probe gestellt. Die Wirtschaftskrise ließ die Erträge schrumpfen und man entschloss sich 1930, in das kleinere Schloss Seese zu ziehen, das vormals vor allem als Sommersitz für die Grafen zu Lynar diente. Schloss Lübbenau wurde indes als Museum für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Seit 1931/32 fungierte es mit seinen seit Jahrhunderten gesammelten Kunstgegenständen als Schlossmuseum.
Mit dem Zweiten Weltkrieg ereignete sich ein schwerwiegender Bruch für die gräfliche Familie zu Lynar, von dem auch das Schlossensemble nicht verschont blieb. Während des Zweiten Weltkrieges beschlagnahmte und belegte 1943 das Reichsluftfahrtministerium mit zwei Arbeitsgruppen einen Teil des Schlosses und nutzte es für seine militärischen Zwecke. Die übrigen Räume blieben, soweit sie nicht zum Museum gehörten, ungenutzt bzw. den Verwaltern und Hausangestellten vorbehalten.
Bis zum Kriegsausbruch war die Zeit auf Schloss Seese aber für die Familie trotz des Aufkommens des Nationalsozialismus von Harmonie und einem gütigen Miteinander geprägt. Doch diese Jahre sollten jäh enden. 1939 erloschen zunächst sämtliche Fideikommisse. Das bisher gebundene Vermögen wurde somit zum freien Eigentum und unterlag von nun an dem Reichserbhofgesetz. Es durfte als Erbe also nicht mehr automatisch – wie in den knapp 300 Jahren zuvor – dem ältesten Stammhalter der Familie zufallen. Graf Wilfried wurde damit zum letzten Standesherrn von Lübbenau.
Nach 1933 erlebte Graf Wilfried, wie in Deutschland der Nationalsozialismus immer mehr Menschen und Vereine in seinen Griff nahm. Das betraf auch Vereine, in denen er selbst Mitglied war und die der Graf nach und nach verließ, obgleich er sich seine stets konservativ-preußische Haltung bewahrte. Nicht zuletzt deswegen bewegte er sich in militärischen Kreisen. Bei Kriegsbeginn war er zunächst Reserveoffizier und später als Stabsoffizier für Personalwesen dem Generalfeldmarschall von Witzleben in Berlin unterstellt. Sowohl im Familien- und Bekanntenkreis, aber auch mit seinen militärischen Vertrauten schaute man sehr kritisch und mit großer Sorge auf die Maßnahmen Hitlers. Es war kein Zufall, dass Graf Wilfried 1943 Adjutant und damit enger Vertrauter des Generalfeldmarschalls Witzleben wurde, der als regimekritisch bekannt war. Noch im selben Jahr übergab der Graf ein provisorisches Testament an einen Notar in Berlin – auch dies gewiss kein Zufall. Witzleben kam eine Schlüsselposition bei der Verschwörergruppe um Stauffenberg zu: er sollte nach dem Attentat auf Hitler den Oberbefehl der Wehrmacht übernehmen. Aber dazu kam es bekanntlich nicht. Viele Gespräche dazu wurden im Vorfeld auch auf Schloss Seese geführt. Am 20. Juli 1944 scheiterte das Attentat auf Hitler. Stauffenberg wurde noch in der Nacht erschossen. Am 21. Juli 1944 wurde Graf Wilfried verhaftet. Das Todesurteil wurde am 29. September 1944 vollstreckt. Im knappen Schreiben an seine Frau lautete eine der lediglich fünf Zeilen: „Die Veröffentlichung einer Todesanzeige ist unzulässig.“ Der Seeser Pastor Keusch hielt – kühn und mutig – dennoch einen Trauergottesdienst in der Seeser Kirche ab und folgte damit dem letzten Willen des Grafen. Das Schloss in Seese wie auch alle anderen Besitztümer wurden von den Nazis enteignet, die Witwe Ilse Gräfin zu Lynar durfte noch in wenigen Zimmer mit den Kindern wohnen bleiben. Genau wie Deutschland stand auch die Familie Lynar am Scheideweg.