ABSCHIED VON GUIDO GRAF ZU LYNAR (1932–2023)
EIN BEWEGTES UND BEWEGENDES LEBEN
Am 12. November ist Guido Graf zu Lynar im Kreise seiner Familie in Lübbenau friedlich eingeschlafen. Er ist 91 Jahre alt geworden.
Geboren wurde Guido Friedrich Johann August Magnus Leonhard Graf zu Lynar am 10. November 1932 in Seese bei Calau. Sein erfülltes Leben führte ihn von seiner Heimat in die Welt hinaus – und nach langen Jahren der Ungewissheit wieder dorthin zurück. Mit Lübbenau und insbesondere Seese verband er immer eine glückliche unbeschwerte Kindheit. In Seese lag sein Sehnsuchtsort. Hier wuchs er mit seinen fünf Geschwistern auf. Die Erinnerungen an die alte Heimat waren gerade in den Jahren zwischen 1949 und 1989 umso bedeutender, weil er selbst nicht einmal ahnte, jemals an diesen Ort zurückkehren zu können.
Einschneidend für die gesamte Familie war das Jahr 1944. Vater Wilhelm Friedrich Graf zu Lynar war in die Attentatspläne gegen Hitler vom 20. Juli 1944 eingeweiht und wurde vom nationalsozialistischen Volksgerichtshof kurz nach dem gescheiterten Attentat zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der Besitz der Familie wurde von den Nazis enteignet. Graf Guido war damals zwölf Jahre alt. Als der Krieg zu Ende war, besuchte er bis 1949 das Carl-Blechen-Gymnasium in Cottbus. Doch die Lage für die Familie verbesserte sich nicht. Das politische Klima – zunächst in der Sowjetischen Besatzungszone, dann in der DDR – versprach keine Zukunft. Mutter Ilse Gräfin zu Lynar blieb noch bis 1953 in Seese – bis die Repression des DDR-Regimes zu groß wurde und die Familie zur Flucht aus der Heimat zwang. Schloss Seese wurde 1968 gesprengt und mitsamt dem Dorf dem Kohleabbau geopfert. Zu diesem Zeitpunkt war Graf Guido längst in Westdeutschland. In Oldenburg fand er nach dem Weggang aus der Heimat zunächst eine Bleibe in einem evangelischen Schülerheim und besuchte das dortige Gymnasium. Darauf folgten eine Kaufmannslehre und die Anstellung bei der Hoechst AG. Der erste von weiter folgenden Auslandsaufenthalten führte ihn 1957 für drei Jahre nach Brasilien und dann nach Portugal. 1965 nahm er eine Tätigkeit bei einer Papierfabrik auf. Hier lernte er seine Frau Beatrix Gräfin zu Lynar kennen, eine geborene Reichsfreiin Droste zu Vischering Padtberg. Ihr erster Sohn Frederico wurde noch in Portugal geboren, kurz bevor die Familie von 1968 bis 1973 wieder für die Firma Hoechst nach Mosambik zog. Hier kamen Tochter Isabel (1970) und Sohn Rochus (1972) zur Welt. Zurückblickend beschrieb er die Zeit in Mosambik als eine der schönsten in seinem Leben. 1973 zog die Familie zurück nach Portugal, Sohn Maximilian kam schließlich 1980 dazu. Portugal war inzwischen zu Hause und Lebensmittelpunkt der Familie geworden.
Der Spreewald und die alte Heimat waren in immer weitere Ferne gerückt. Im Laufe der Jahrzehnte hatte Guido Graf zu Lynar die Möglichkeit einer Rückkehr abgehakt und seinen Frieden damit gefunden. Der Fall der Mauer stellte das Leben von Graf Guido auf völlig unerwartete Weise auf den Kopf. Christian Graf zu Lynar, der Bruder von Graf Guido, war es, der nach der Wende den Antrag auf Restitution des Lynarschen Familienbesitzes in Lübbenau stellte und damit den Weg für das nächste große Kapitel der Familiengeschichte ebnete. Die erfolgreiche Restitution im Jahr 1991 wurde zu einem erneuten Wendepunkt der Grafen zu Lynar.
Graf Guido, in Portugal gerade erst pensioniert worden, verließ Portugal und zog 1992 mit seiner Frau Beatrix und dem damals erst 12-jährigen Sohn Maximilian in die Heimat seiner Kindheit. Die Wiederbegegnung war eine Mischung aus Freude und Ernüchterung. Zwischen seinem Weggang und der Rückkehr gut vierzig Jahre später war viel geschehen. Der Ort und das Schloss Seese waren weg, der ganze Landstrich größtenteils verwüstet. Das zwar noch intakte Anwesen in Lübbenau war durch neue Bauten völlig entfremdet und in keinem ansehnlichen Zustand. Der Familie war bewusst, dass es dauern und nur mit hohen Krediten gelingen würde, den Besitz wieder auf Vordermann zu bringen. So wurden die Grafen Christian und Guido zu den beiden Hauptakteuren in der Anfangszeit des Wiederaufbaus. Ambitionen aus dem Schloss eine Lynarsche Residenz zu schaffen, gab es in der Familie zu keinem Zeitpunkt. Aufgrund der prominenten Lage im Spreewald lag eine touristische Nutzung nahe, zumal das Schloss bis dato schon als Hotel diente. Und so wurden die Lynars Hoteliers. Mit der Gründung der Hotelbetriebsgesellschaft Schloss Lübbenau im Februar 1992 wurde dem Projekt ein Name gegeben. Unter der Federführung von Graf Guido und seinem Bruder Christian begann die schrittweise Renovierung des Hauptgebäudes und der Ausbau des Schlosses zum Vier-Sterne-Hotel.
Graf Guido war dankbar, wieder in der Heimat zu sein, auch wenn es ihm oft nicht ganz leicht fiel. Stets betonte er, was für ein Riesenglück er hatte, dass seine Frau immer an seiner Seite war und ihn in allem bestärkte. Auch in den turbulenten Zeiten der 90-er Jahre und der Anfänge in Lübbenau war sie ein fester Anker in Graf Guidos Wirken. Mit Hilfe von Gräfin Beatrix, die das kreative Zepter in die Hand nahm, bekam der nüchterne Stil vom Schloss eine familiäre Note. Außerhalb seiner betrieblichen Aufgaben engagierte sich Guido Graf zu Lynar bei dem Schützenverein und den Keglern oder widmete sich der Jagd.
1997 überschattete ein Schicksalsschlag die Familie – Graf Guidos Tochter Isabel verstarb plötzlich mit nur siebenundzwanzig Jahren. Drei Jahre später verstarb unerwartet auch Christian Graf zu Lynar. Mit ihm verlor Graf Guido nicht nur seinen Bruder, sondern auch seinen engsten Geschäftspartner. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war für Guido Graf zu Lynar klar, dass die nächste Generation in die Pflicht genommen werden muss. Sein Vermächtnis war gelegt und stand bereits auf soliden Füßen – und zwar in seiner alten Heimat. Graf Guido sagte einmal: „Der Spreewald, Lübbenau, Dubrau, das sind die Orte, die meinen Kindern und Enkeln eine Heimat sein sollen, in die sie – wo immer auf der Welt es jeden einzelnen von ihnen im Leben auch verschlagen mag – jederzeit wieder zurückkehren können.“ Seine Söhne wohnen mittlerweile mit ihren Familien wieder im Spreewald, den Graf Guido einst verlassen musste – eine Region, die nun für seine Enkel die gleiche Heimat ist, wie einst für ihren Großvater.